Corona – eine kritische Bilanz

Corona – eine kritische Bilanz

(erstellt am 29.4.2020)

Es ist Zeit, einmal kritisch zu hinterfragen, was bisher in der Corona-Krise geschehen ist und wie es bewertet werden muss. Auslöser für meine Gedanken war übrigens ein Brief einiger CDU-Abgeordneter an meine Praxis, in dem allen Ärzten für ihren unermüdlichen Einsatz in der Krise gedankt wurde. Das hat mich motiviert, in einem Antwortschreiben einmal die bisherigen Ereignisse bzgl. Corona festzuhalten.

Ich lade Sie ein, liebe Leser/innen, hier an meinen Gedanken teilzuhaben. Vielleicht hilft Ihnen meine Meinung, sich über die aktuelle Situation etwas klarer zu werden.

Aber Achtung: Der Artikel ist relativ lang.

Gerne möchte ich Ihnen übrigens einen Artikel im Internet ans Herz legen, den ich für sehr gut und wichtig halte. Klicken Sie einfach hier!

 

Vorwort

Ich persönlich fand es schon befremdlich, als im Fernsehen die ersten „Danke“ gesendet wurden, adressiert an Supermarktmitarbeiter(innen), Müllmänner, Altenpfleger(innen) sowie Krankenschwestern/pfleger und Ärzte/Ärztinnen.

Mich hat dieser Dank nie erreicht, denn in einer Situation, in der gravierende Maßnahmen vorgenommen werden, die die gesamte Bevölkerung betreffen, sind alle Menschen wichtig, nicht nur die, die zufällig in bestimmten Positionen tätig sind. Insofern waren für mich diese Danksagungen gleichzeitig auch immer Ohrfeigen für den Rest der Bevölkerung, von der Politik vielleicht nicht so gemeint, aber trotzdem so formuliert. Warum dankt man nicht dem Jungunternehmer, der aufgrund der staatlichen Maßnahmen jetzt insolvent ist, oder der alten dementen Dame im Altenheim, die nicht verstehen kann, dass sie nicht mehr von ihrer Tochter besucht werden darf, und wegen der Einsamkeit die Nahrungsaufnahme verweigert und nach kurzer Zeit stirbt?

Einzelfälle? Nein, keineswegs! Täglich erlebter Alltag in meiner Praxis.

In dem Schreiben wird mir für die Mehrbelastung gedankt, die durch die Coronakrise entstanden sein soll. Lassen sie mich sagen, dass meine hauptsächliche Mehrbelastung darin besteht, meinen Patienten bestimmte Maßnahmen der Regierung zu erklären und um Unterstützung zu bitten, obwohl ich hinter diesen Maßnahmen nicht stehe, weil rein durch die Zahlen des Robert-Koch-Instituts – kritisch gelesen – und der Äußerung namhafter Wissenschaftler wie Prof. Streeck aus Bonn und Prof. Püschel aus Hamburg, aber auch viele anderen Experten längst klar ist, dass sich die Regierung in den Maßnahmen zur Eingrenzung des Virus völlig verrannt hat. Ich werde dies im Weiteren noch wissenschaftlich begründen, ohne dabei Verschwörungstheorien zu benötigen.

Eine weitere Mehrbelastung bestand übrigens emotional darin, manchen Patienten den gewünschten Test zu verweigern, ganz getreu den Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts und der Gesundheitsämter, die Tests aus Kostengründen und mangels Verfügbarkeit eben nur unter bestimmen Situationen empfahlen. Und dies, obwohl eigentlich jedem klar sein dürfte, dass aus dem Mythos Corona nur dann eine klar abgegrenzte Erkrankung werden kann, wenn wir klare Daten haben. Und wo anders sollten Daten herkommen, wenn nicht durch Tests?

Was hatte ich sonst für Mehrbelastungen? Keine! Die Anzahl der täglichen Patienten ist auf 25% des sonst üblichen geschrumpft, weil sich die meisten Menschen aus Angst vor Ansteckung nicht mehr in die Praxis trauen, obwohl bei mir der Hygienestandard sehr hoch ist und ich aktuell dafür Sorge, dass im Wartezimmer nie mehr als zwei Patienten sitzen. Wie viele andere Praxen werde ich einen erheblichen Einkommensverlust im jetzigen Quartal haben, der sich aufgrund des derzeitigen Abrechnungssystems für Kassenärzte noch jahrelang negativ für mich auswirken wird (Stichwort Regelleistungsvolumen).

Ich erwähne das nur am Rande, denn Geld allein macht nicht glücklich, und zufriedene Patienten sind mit sehr wichtig, auch wenn ich dadurch mal nichts oder weniger verdiene.

 

Geschichte

Der Anfang der europäischen Corona-Geschichte war in der Tat dramatisch, insbesondere durch die Ereignisse in Italien. Leider haben sich offensichtlich zu viele, darunter vermutlich auch Politiker, von diesen Ereignissen blenden lassen, ohne kritisch nach den Ursachen zu suchen. Und als dann in Gangelt der erste Hotspot in Deutschland auftrat, war natürlich die Panik groß.

Aber man muss das italienische Gesundheitssystem kennen, um die Vorfälle dort beurteilen zu können. Dort gibt es nur ca. 5.000 Intensivplätze, dazu ist die Qualität der italienischen Intensivmedizin und Krankenhäuser nicht besonders gut. So sterben in italienischen Krankenhäusern Jahr für Jahr ca. 5.000 Menschen allein durch Behandlungsfehler und Hygienemängel. Und natürlich ist klar, dass eine Gesellschaft mit 5.000 Intensivbetten maximal überfordert ist, wenn plötzlich der Bedarf für 10.000 Beatmungspatienten vorliegt.

Leider wurde diese Situation in den Medien maximal überzeichnet dargestellt, was dazu führte, dass es in der Bevölkerung hier schon Panik gab, bevor der Virus überhaupt bei uns war. Und als es dann in Gangelt im Kreis Heinsberg los ging, war die Angst in der Bevölkerung und leider auch bei vielen Politikern schon sehr ausgeprägt. Das führte dazu, dass eine sachliche und situationsadaptierte Reaktion auf den Virus in Deutschland fast nicht mehr möglich erschien. Denn auch jetzt noch unterliegen Fachleute, die den Virus für eher harmlos halten, im Internet und sozialen Gruppen einer gnadenlosen Hetzkampagne unterster Qualität.

Insbesondere Jens Spahn, aber auch Angela Merkel waren mit dieser Situation völlig überfordert, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen. In dieser Situation ist mir sehr wohl die ausgleichende und bremsende Art von Armin Laschet aufgefallen, allerdings hat er in der Ministerpräsidentenrunde mit Markus Söder einen Heißsporn als Gegner, der vielleicht für die bayrische Mentalität passend erscheint, aber für Deutschland eher kontraproduktiv zu sein scheint. Und leider hat sich Laschet schlussendlich dann doch immer dem Druck der Bundeskanzlerin und anderen Ministerpräsidenten gebeugt.

Jedoch hätte damals bei vernünftiger Information seitens qualifizierter Berater und eigenem Denken der Politiker klar sein können und müssen, dass die Situation in Deutschland anders ist und damit anders verlaufen würde als in Italien. Und dazu muss man kein Hellseher sein, sondern nur die Zahlen des RKI berücksichtigen. Dazu hatten bekannte und renommierte Wissenschaftler bereits vor Wochen vorhergesagt, dass die Pandemie nach 40 Tagen ihren Höhepunkt haben werde und nach 70 Tagen unabhängig von den gewählten Gegenmaßnahmen weitgehend abgeklungen sein würde. Nicht jedoch unsere Politiker, die immer noch vom Beginn der Pandemie sprechen – und das völlig ohne wissenschaftliche Grundlage!

 

Kommunikation und Presse

Ein großes Problem dieser Pandemie ist auch die Art, wie mit den veröffentlichten Zahlen umgegangen wird und wie diese zu interpretieren sind. Da standen der angeblich exponentielle Verlauf im Raum sowie die Verdoppelungszeiträume bezüglich der Anzahl der Infizierten. Schon hier wurden Fehler gemacht, denn ein Virus kann sich nur am Anfang einer Infektionskette exponentiell ausbreiten, jedoch taucht dieser Begriff immer noch in zahlreichen Veröffentlichungen in der Presse und im Internet (Youtube etc.) auf und ist dazu geeignet, in der Bevölkerung Angst und Panik zu erzeugen. Besonders negativ „hervorgetan“ hat sich hier z. B. die Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim, die aus persönlicher Angst heraus wie ein kleines Mädchen gebetsmühlenartig das wiederholt, was längst widerlegt wurde.

Weiterhin wurden in der Presse fast immer nur die Zahlen erwähnt, die einschüchternd und angstauslösend wirken können, insbesondere die kumulative Anzahl der Infizierten sowie die Anzahl der Verstorbenen. Klar müssen wir in einer Demokratie mit absoluter Pressefreiheit solche tendenziellen Berichte hinnehmen, aber es hätte der Bevölkerung sehr gut getan, wenn seitens der Politiker hier insoweit Einfluss genommen worden wäre, dass man mal die positiven Zahlen deutlicher betont, z. B. die seit langem sinkende Zahl der Neuinfektionen.

Oder bestand hier die Sorge, dass durch positive Zahlen die Bevölkerung zu schnell zu leichtfertig reagiert, staatliche Maßnahmen ignoriert und das Abstandsgebot vernachlässigt? Wurde eventuell die Bevölkerung von Seiten der Politiker bewusst manipuliert?

Auch zu der Anzahl der Verstorbenen wurden lange falsche Angaben gemacht, und zwar seitens der Politiker genauso wie dann verstärkend seitens der Presse. Zunächst wurde immer von Corona-Toten gesprochen bzw. von Menschen, die an Corona gestorben sind. Dies ist jedoch eine massive Irreführung der Bevölkerung, denn sicher sind eine ganze Reihe der Toten nicht an Corona (als ursächliche Erkrankung), sondern mit Corona gestorben, unter anderem auch, weil sie zufällig zum Zeitpunkt des Todes mit dem Virus infiziert waren. Ich kann das aus eigener Erfahrung sehr gut beurteilen. Und es hat viele Wochen gedauert, bis die Presse endlich den Terminus gewechselt hat, in dem sie heute von „Toten im Zusammenhang mit Corona“ spricht. Wie viele Verstorbene sind in dieser Statistik, obwohl sie nur zufällig bei ihrem Tod mit dem Virus infiziert waren?

Ein weiterer kritischer Punkt ist für mich die Angabe der Genesenen. Dabei wird leider oft übersehen, dass es keine Meldepflicht für Gesundheit und Genesung gibt. Insofern halte ich diese Zahl für sehr fragwürdig, die tatsächliche Anzahl der Genesenen dürfte um einiges höher sein.

Beste und objektivste Zahl wäre für mich im Verlauf die Anzahl der aktuell Erkrankten und ggf. zusätzlich die Anzahl der aktuell Infizierten gewesen. Der mündige Bürger hätte dann früh erkennen können, dass wir in Deutschland diese Situation während des gesamten Verlaufs stets gut im Griff hatten.

Aktuell steht die Reproduktionszahl im medialen und politischen Interesse, aber auch hierzu finde ich leider sehr viele irreführende und falsche Aussagen, und das nicht nur von selbsternannten (Internet)-Experten, sondern sogar von Herrn Prof. Drosten und Angela Merkel. Allein ihre Aussage, dass wir einer Zahl R0 von 1,1 im Oktober, bei 1,2 im Juli und 1,3 bereits im Juni an die Grenzen unseres Gesundheitssystems und der freien Intensivbetten kommen, ist unglaublich irreführend und führt lediglich zu einer weiteren Verunsicherung in der Bevölkerung. Schließlich hatten wir schon Werte des R0 über 3, und sind trotzdem nie an die Grenzen gekommen, nicht einmal ansatzweise. Hat Frau Merkel nicht verstanden, worum es hier geht, oder war dies eine bewusste Irreführung der Bevölkerung mit dem Ziel, durch Angst- und Schreckensszenarien weitere Zustimmung für ihre Entscheidungen zu erhalten?

 

Maßnahmen

Angesichts der anfänglichen dramatischen Ereignisse waren die zunächst getroffenen Entscheidungen durchaus vertretbar. Dazu zähle ich z. B. das Verbot von Großveranstaltungen (wobei mir die Zahl 1000 als Obergrenze nicht einleuchtet) am 9.3.20, sowie die vorübergehende Schließung von Schulen und Kitas in Verbindung mit weiteren Maßnahmen am 16.3.20. Das anschließend am 23.3. verkündete Kontaktverbot mit massiven Restriktionen für die Wirtschaft ist dagegen schon kritischer zu sehen, insbesondere aus dem Grund, da hier grundgesetzwidrige Eingriffe in unsere Freiheitsrechte vorgenommen wurden und immer noch werden, die letztlich aber nur in wenigen deutlich begründbaren Einzelfällen zulässig sind. Sehe ich für den Anfang der Maßnahmen noch hinreichende Gründe für die Freiheitsbeschränkungen, fällt es mir jedoch jetzt schwer, angesichts der aktuellen Zahlen und Entwicklung diese weiter zu begründen. Ich denke, es wird noch Aufgabe der Verfassungsgerichte sein, dies juristisch aufzuarbeiten

 

Beratung

In der öffentlichen wissenschaftlichen Aufarbeitung schätze ich das Robert-Koch-Institut sehr, insbesondere dann, wenn es um die Bereitstellung der Daten und Statistiken der gemeldeten Fälle geht. Auch die wissenschaftliche Aufarbeitung, die täglich veröffentlichten Berichte und Studien sind eine unschätzbare Hilfe für die Beurteilung der aktuellen Situation. Es ist auch absolut sinnvoll, sich durch weitere Fachleute beraten zu lassen, wie zum Beispiel durch Virologen und Epidemiologen, wie Herrn Prof. Drosten. Jedoch ist eine solche Pandemie keineswegs nur ein epidemiologisches und theoretisches Problem, es bedarf weiterer Experten, wie Medizinethiker, Pathologen, praktisch tätige Ärzte wie Intensivmediziner und niedergelassene Ärzte, nicht zuletzt aber auch Psychologen und andere mehr.

Hier sehe ich deutliche Defizite in der Regierungsarbeit, da offensichtlich ja nur die Beratung durch das RKI und Herrn Drosten erfolgt. Unglücklicherweise steht Herr Drosten allerdings mit seiner Meinung unter den Virologen nach meiner Einschätzung etwas am Rand der Meinungsgesamtheit, dazu kommt leider auch, dass er in Interviews mehrfach nachweislich falsche Angaben gemacht hat, wie ich an einem Beispiel verdeutlichen möchte:

So sagt Drosten in einem im Tagesspiegel veröffentlichtem Interview, dass er den Diskussionsrhythmus der Ministerpräsidenten von zwei Wochen für zu kurz halte, denn: „Von der Infektion bis zu einer Intensivbehandlung würde im Schnitt ein Monat vergehen“. Dies wiederspricht in hohem Maße aber den Zahlen des RKI, wo im Steckbrief des Virus im statistischen Mittel eine Zeitspanne von 9-11 Tagen vom Beginn der Erkrankung bis zur Intensivstation angegeben wird.

Leider hat Angela Merkel aufgrund dieses Interviews dann den nächsten Beratungstermin um eine Woche verschoben, aktuell hält sie es also für wichtiger, sich dem Klimaschutz zu widmen, als sich um das Wohl des eigenen Volkes zu kümmern. Oder wollte sie mit dieser Maßnahme Herrn Laschet abstrafen, weil er die gemeinsamen Vereinbarungen eben auf seine Weise auslegt?

Im Übrigen halte ich Beratungstermine der Ministerpräsidenten im Abstand von drei Wochen für viel zu selten. Insbesondere dann, wenn die Zahlen wieder ansteigen sollten (auch wenn ich davon nicht ausgehe), wären viel kürzere Zeitabstände sinnvoll.

Insgesamt bleibt als Fazit, dass die Beratung der Bundesregierung viel zu einseitig und zu sehr Virus gesteuert stattfindet. Eine solche Pandemie muss viel breiter diskutiert werden, um mit einem möglichst geringen Schaden aus dieser Krise zu kommen, wobei insbesondere die Kollateralschäden nicht höher ausfallen dürfen als die Schäden durch das Virus selbst.

 

Jetzige Situation und Ausblick

Wir hatten die Situation, dass durch anfänglich stark ansteigende Zahlen tatsächlich die Möglichkeit bestand, dass auch unser Gesundheitssystem, immerhin das Beste der Welt, an seine Grenzen kommen würde. Inzwischen jedoch ist die Situation eine andere. Wir sind weit weg von einem Kollaps, wir haben stets zwischen 13.000 und 15.000 freie Intensivbetten, dazu leere Krankenhäuser und Arztpraxen, verschobene aber eigentlich medizinisch notwendige therapeutische Maßnahmen und eine massiv an die Wand gefahrene Wirtschaft, die sich selbst in mehreren Jahren nicht erholen wird. Das wird den Staat und Steuerzahler noch Billionen kosten, zumal eine große Anzahl von Insolvenzen droht und vermutlich auch eintreffen wird.

Wir haben uns zu grundgesetzwidrigen Beschneidungen unserer Freiheit, unseres Rechts auf Berufsausübung, unseres Rechst auf Bildung, ja sogar unseres Rechts auf Meinungsfreiheit (hier: Demonstrationsverbot) hinreißen lassen, und jetzt fehlt den Politikern der Mut, die grundgesetzlich garantierten Rechte wieder einzusetzen, und das lediglich aufgrund von fragwürdigen Empfehlungen einiger Hardcore-Virologen, die in ihrer Meinung nicht einmal die breite Masse der Meinungen vertreten.

Dazu haben wir zunehmende häusliche Gewalt, vereinsamte alte Menschen in entsprechenden Einrichtungen mit Kontaktverbot, wir haben dort Suizide, Tod durch Nahrungsverweigerung, wir werden weitere Suizide und andere gesellschaftliche Katastrophen durch Insolvenz und Verarmung erleben. Und auch, wenn Angela Merkel aktuell noch auf einer Wolke von Zustimmung schwebt, wird dies sicher in Kürze kippen, und sie wird als Kanzlerin die Bühne verlassen als diejenige, die den Staat unnötig in seine schlimmste Krise seit dem zweiten Weltkrieg gestürzt hat. Und das bedaure ich sehr, hat sie doch aus meiner Sicht viele Jahre eine gute Arbeit gemacht.

 

Wissenschaftliche Analyse

Über allen Veröffentlichungen und Meinungen hängt immer die Behauptung, dass das Virus sich exponentiell ausbreitet. Jedoch ist diese Aussage in der allgemeinen Formulierung nicht richtig, wird aber gerne benutzt, um Angst zu verbreiten. Da ist zunächst das Problem, dass der Exponent nie benannt wird, obwohl die Größe dieser Zahl entscheidenden Einfluss auf das Ausmaß der Verbreitung hat. Steckt ein Virusträger zwei Menschen an, ist das Wachstum ein anderes, als wenn er 10 weitere Menschen ansteckt.

Dazu kommt, dass sich exponentielles Wachstum nur unter idealisierten Bedingungen erzielen lässt. Denn sobald die ersten Menschen immun werden, und das ist ja umso schneller der Fall, je höher die Infektionsrate ist, desto mehr werden Infizierte auf Immune treffen und damit das Virus nicht mehr übertragen können. Allein aus diesem Grunde wird eine exponentielle Infektionsrate umso schneller begrenzt werden, je höher sie ist – Stichwort Herdenimmunität.

Schaut man sich die Zahl R0 (Reproduktionszahl) im Verlauf an, so wird schnell klar, dass es bereits im März zu einer Umkehrung gekommen ist, und zwar kurz nach dem Verbot der Großveranstaltungen. Dabei halte ich die oft gelesene Behauptung, dass dies ein Effekt des Verbotes ist, für voreilig, denn die Reaktion des R0 kam meiner Meinung nach zeitlich zu schnell nach dem Verbot. Wie dem auch sei, senkte sich R0 weiter und lag schon vor der Verkündung des Kontaktverbotes und der Freiheitsbeschränkungen unter 1. Das wird von vielen als Hinweis dafür gesehen, dass es der Kontaktbegrenzungen nicht bedurft hätte und dass bereits bis dahin angeordnete Maßnahmen ausreichend waren, um diesen Wert um 1 zu halten. Mir ist bekannt, dass Herr Drosten hier eine andere Meinung vertritt, aber seine Begründung im oben schon erwähnten Interview ist für mich unschlüssig und mathematisch nicht nachvollziehbar, wirkt aber auf Laien hochwissenschaftlich.

Interessant ist für mich in diesem Zusammenhang, dass sowohl Herr Streeck wie auch Herr Kelulé, beides ebenfalls anerkannte Virologen, die angeordneten Kontaktverbote und Freiheitsbeschränkungen in Interviews durchaus kritisch sahen, insbesondere, was die Dauer dieser Maßnahme betrifft.

Entscheidend ist jedenfalls, dass die Zahlen der Neuinfektionen seit dem 16.3. bzw. spätestens 20.3. kontinuierlich und linear abfallen. Dabei bin ich keineswegs davon überzeugt, dass allein die Maßnahmen der Bundesregierung für diese Situation verantwortlich sind. Was grundsätzlich bei allem kaum oder nie Berücksichtigung findet, sind Fragen der Grundimmunität, der Kreuzimmunität z. B. durch andere Coronaviren, Fragen der Temperaturabhängigkeit, des UV-Lichts, Mutationen und anderes. Was ist denn, wenn die Neuinfektionen auch dann weiter sinken, wenn wir die Einschränkungen weiter zurücknehmen, und das Virus sich einfach totläuft? Das hatten wir doch schon einmal bei der sogenannten „Schweinegrippe“ 2009/2010, und auch damals hat sich die Bundesregierung komplett verrannt, z. B. mussten nicht benötigte Impfdosen im Wert von 239 Millionen Euro nach der Epidemie vernichtet werden.

Sollte dies eintreffen, und das ist für mich keineswegs unmöglich, würde dies umso mehr ein schlechtes Licht auf die Maßnahmen der Bundesregierung werfen und sie noch mehr dem Vorwurf aussetzen, sich nur um die Viruszahlen, aber nicht um die Menschen im Land gekümmert zu haben.

Spätestens zwei Wochen, allerspätestens vier Wochen nach Beginn des linearen Abfalls hätte man jedoch laut und deutlich über ein Ende nachdenken müssen, sicher mit Warnungen und kleineren Einschränkungen. Stattdessen verzögert man mit zweifelhaften und teilweise falschen Argumenten, redet davon, dass man immer noch am Beginn der Pandemie sei, und ein zweiter Anstieg verheerend sein würde. Nichts davon lässt sich wissenschaftlich auch nur ansatzweise untermauern, es sind reine Katastrophenszenarien ohne Substanz.

 

Was muss dringend anders werden?

Prinzipiell gibt es zwei Wege, eine solche Krise zu bewältigen. Man kann zunächst den Verlauf beobachten und nur insoweit eingreifen, wenn das nationale Gesundheitssystem überfordert wird (in etwa das schwedische Modell), oder man führt sehr schnell eingreifende Einschränkungen durch, um die Infektionsketten zu unterbrechen, in der Hoffnung, somit die weiteren Ansteckungen zu verhindern (deutsche Version).

Da viele Ländern kein gutes Gesundheitssystem haben, kamen diese jedoch schnell an ihre Grenzen, was zumindest teilweise dann zu panikartigen, teilweise auch unüberlegten Reaktionen in den betroffenen Ländern geführt hat. Auf Chaoten, die das Virus völlig ignoriert haben bzw. immer noch tun (USA, Brasilien und andere), will ich hier nicht näher eingehen. Was Deutschland allerdings versäumt hat, ist eine frühzeitige Analyse der Situation in anderen Ländern, wozu die Beurteilung der Krankenhauskapazitäten genauso gehört wie die Häufigkeit von Arztbesuchen, Häufigkeit der Durchführung von Tests und vieles mehr. Stattdessen haben wir nur auf die Zahlen geschaut, und beeindruckt von den Bildern aus Italien dann aus meiner Sicht etwas voreilig Maßnahmen ergriffen, in denen man jetzt gefangen erscheint. Und man hat sich dabei zu sehr und zu einseitig nur von wenigen Virologen und dem RKI beeinflussen lassen, während wie weiter oben schon erwähnt andere Fachleute und Experten ignoriert wurden.

Dazu gab es nur dramatisierende Kommentare der Politiker, denen jedes Verständnis für die Situation der betroffenen Menschen abhandengekommen zu scheint, schon jetzt Absagen von zeitlich weit entfernt liegenden Veranstaltungen wie das Oktoberfest in München sowie der Hinweis, dass in diesem Sommer kein Urlaub möglich sein wird. Hat überhaupt jemals einer der verantwortlichen Politiker über die Menschen und deren Empfinden nachgedacht?

Die deutschen Politiker haben sich auf das langsame Verfahren geeinigt, was allerdings für eine deutlich höhere Belastung der Wirtschaft und deutlich längeren Freiheitsbeschränkungen führen wird. Ich halte dies für verfassungswidrig, denn durch die aktuellen Zahlen lassen sich solche Maßnahmen nicht mehr ausreichend begründen. Der Traum, damit das Virus ausrotten zu können, wird jedoch ein Traum bleiben, denn Viren lassen sich mit solchen Maßnahmen nicht ausrotten, zumal wir jederzeit vom Ausland wieder in die Pandemie einbezogen werden könnten, wenn sich der Virus nicht aufgrund seiner genetischen Struktur oder saisonalen Gegebenheiten von alleine totläuft.

Gerne wird das bisherige Vorgehen auch damit begründet, dass man Menschenleben schützen wolle, und es nie zu einer Situation kommen darf, in der manchen Patienten allein aufgrund ihres Alters oder bestimmten Vorerkrankungen der Zugang zu einem Beatmungsgerät verwehrt werden muss, weil nicht genug Beatmungsplätze zur Verfügung stehen. Ich halte diese Begründung für vorgeschoben, denn wir waren nicht einmal annähernd in der Situation, dass ein solches Szenario auch nur gedroht hätte. Insofern hätten wir ein entspannteres Vorgehen mit weniger Einschränkungen durchaus wagen können, ohne gleich die Allgemeinheit und insbesondere Risikogruppen wesentlich in Gefahr zu bringen.

Ein solches entspannteres Vorgehen hätte aber deutlich weniger Freiheitseinschränkungen, deutlich weniger Belastung für die Wirtschaft, deutlich weniger Insolvenzen mit all ihren Begleiterscheinungen inkl. Suizide zur Folge gehabt, hätte im Umkehrschluss aber die zunehmende Immunität erleichtert und damit den Virus schneller die Angriffspunkte genommen.

Wie dem auch sei, die anfänglichen Maßnahmen waren der Sorge geschuldet und damit vertretbar. Was jetzt jedoch passiert, der sehr zögerliche Versuch, die Freiheitsrechte wiederherzustellen, ist eben nicht mehr begründbar, weder medizinisch, epidemiologisch noch gesellschaftlich – und damit nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.

Was haben wir denn an Erkenntnissen?

  • Das Virus hat aktuell einen R0 von etwa 0,9 – Tendenz fallend (in Österreich 0,53).
  • Wichtigster Parameter zur Senkung der Ansteckungsgefahr ist ein Abstand von 1,5 bis 2 Meter.
  • Ein Mundschutz kann (ist aber nicht bewiesen), diesen gefährlichen Abstand noch weiter reduzieren (was aber nicht zur Sorglosigkeit führen darf).
  • Das Virus ist mit einer Fetthülle umgeben, die durch Seife zerstört werden kann. Regelmäßiges Waschen der Hände ist wichtig.
  • Auf Flächen kann sich das Virus nicht lange halten.
  • Laut RKI ist eine Kontaktdauer von 15 Minuten unterhalb des kritischen Abstands für eine Infektion notwendig, sofern nicht gehustet oder genossen wird.
  • Bei normaler Atmung verlassen nur wenige Viren den Nasen-Rachen-Raum

Alles andere ist bisher Spekulation, Meinung von Wissenschaftlern, mal nachvollziehbar, mal nicht.

Warum dann:

  • Dürfen Restaurants weiterhin nicht öffnen, obwohl auch diese ein Hygienekonzept vorlegen könnten, z. B. nur jeden zweiten fest eingebauten Tisch besetzen, freie Tische auf Abstand stellen, maximal vier Personen pro Tisch?
  • Dürfen Hotels nicht für Privatleute öffnen, wenn in den öffentlichen Bereichen ähnliche Sicherheitsstandards gelten wie bei Gaststätten?
  • Sind viele Sportarten nicht erlaubt, insbesondere dann, wenn man sie einzeln oder in kleinen Gruppen durchführen kann, wie z. B. Golf?
  • Gelten Reisebeschränkungen, obwohl ein Spaziergang im Wald oder an der See sicherlich keinerlei Gefahr darstellen dürfte?
  • Dürfen Geschäfte über 800 qm Verkaufsfläche nicht öffnen, Möbelhäuser aber schon?
  • Dürfen Friseure mit Hygienekonzept nicht öffnen, obwohl eine Ansteckung „von hinten“ sehr unwahrscheinlich ist

 

Fazit

In Deutschland gibt es das Grundgesetz, eines der größten Geschenke, die wir in der Freiheit haben. Es regelt sehr deutlich viele grundsätzliche Dinge im Miteinander der Gesellschaft, und kann nur aus wichtigsten Gründen vorübergehend ausgesetzt werden. Eine solche Begründung konnte man zu Beginn der Pandemie noch erkennen, da das Virus zunächst sehr bedrohlich und gefährlich erschien. Im weiteren zeitlichen Verlauf war in Deutschland aber schnell erkennbar, dass die Gefahr weit weniger groß ist, als angenommen, auch wenn einige Hardliner unter den Virologen das noch nicht zugeben können oder wollen. Aber insbesondere unter Berücksichtigung der sehr hohen Kollateralschäden, die sich inzwischen darstellen, und deren Ausmaß und Ende nicht absehbar erscheint, sehe ich die derzeitigen Maßnahmen auch aufgrund meiner persönlichen Erfahrungen als Arzt nicht mehr mit dem Grundgesetz vereinbar, was ich oben deutlich und umfassend ausgeführt habe.

Und zum ersten Mal seit der Schaffung dieses Grundgesetzes sehe ich eine Regierung in Deutschland, die grundgesetzwidrig handelt und keinerlei Anstalten macht, diesen Zustand schnellstmöglich zu beenden.

Ich danke Ihnen, wenn Sie es bis hierhin geschafft haben. Ich danke Ihnen, dass Sie meine Ausführungen zur Kenntnis genommen haben.

Bleiben sie gesund!


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